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66th IFLA Council and General
Conference

Jerusalem, Israel, 13-18 August

 
 


Code Number: 071-112-G
Division Number: I
Professional Group: Library and Research Services for Parliaments
Joint Meeting with: -
Meeting Number: 112
Simultaneous Interpretation: No

Die Rolle der osteuropäischen Parlamentsbibliotheken bei der öffentlichen Zugänglichmachung von Regierungsinformationen: Beispiel Russland

Irina A. Andreeva
Parliamentskaya Biblioteca, Moscow
Russian Federation

Francis T. Kirkwood

Library of Parliament, Ottawa
Ontario, Canada


Zusammenfassung:

Die IFLA hat sich zum Ziel gesetzt, der Öffentlichkeit über Bibliotheken verstärkten Zugang zu Regierungsinformationen sowie Informationen über die Regierung zu verschaffen, um auf diese Weise zur Schaffung von Demokratie und Zivilgesellschaft in den Ländern des ehemaligen Ostblocks beizutragen. Vorliegende Abhandlung geht nicht auf die Aufgaben einer typischen Parlamentsbibliothek in Osteuropa ein, sondern auf deren Rolle beim Aufbau einer Demokratie. Eine Parlamentsbibliothek in einem Land, das - wie Russland - gegenwärtig den demokratischen Pluralismus wieder entdeckt, hat eine ganz besondere Verpflichtung, Regierungsinformationen sowie Informationen über die Regierung und vor allem Parlamentsdokumentation einer breiten Öffentlichkeit zugänglich zu machen.

Historischer Hintergrund

In etwas mehr als einem Jahrzehnt - genau gesagt 11 Jahren - wurde die Welt auf den Kopf gestellt.

Nach dem Fall der Berliner Mauer machten sich die lange Zeit von einer einzigen Ideologie beherrschten osteuropäischen Länder frei von deren erdrückender Bürokratie, jagten die diktatorischen Regimes fort, wählten freie Regierungen und nahmen sich das Wirtschafts- und Sozialsystem des Westens als neues Vorbild. In der Sowjetunion kam das monolithische Staatsgefüge ins Wanken. In dem Riesenreich taten sich auf einmal Risse auf, als die Sowjetrepubliken erneut ihre Unabhängigkeit forderten. Glasnost und Perestroika bewirkten Zerfall und nationale Wiedergeburt.

Hinter dem politischen Umbruch verbargen sich viel tiefer greifende Umwälzungen. Eine enttäuschte Bevölkerung wagte den Schritt von privatem Zynismus zu öffentlichen Forderungen nach einem besseren Leben. Das Fernsehen zeigte die neuen Ideale des demokratischen Materialismus, Regierungen mussten sich der Kritik der öffentlichen Meinung stellen, und Parlamente wurden zu Foren der öffentlichen Debatte, in denen Gesetze auf Herz und Nieren geprüft wurden. Statt der offiziellen Führung wurden nun Informationen zur treibenden Kraft der Gesellschaft. Und die Bibliothekare, die sogar noch während der Revolution im Jahre 1991, als die IFLA-Konferenz in Moskau stattfand, Untergrundzeitungen gedruckt hatten, begriffen, dass ihnen von nun an eine politische Aufgabe oblag. In Zukunft würden sie die Öffentlichkeit beständig mit Informationen versorgen müssen, um eine wohl informierte, kritische und engagierte Bürgerschaft zu schaffen und auf diese Weise zum Aufbau von Demokratie und Zivilgesellschaft beizutragen.

Zwei unabdingbare Voraussetzungen: Sammlungen offizieller Dokumente und die Gültigkeit öffentlichen Rechts

Vor diesem historischen Hintergrund nahm die Idee Gestalt an, erneut eine russische Parlamentsbibliothek zu schaffen. Die ehemalige, im Jahre 1906 gegründete Parlamentsbibliothek hatte bis zum Jahre 1918 der Duma des russischen Reiches und den nachfolgenden Republiken gedient. Im Jahre 1991 entschieden die Abgeordneten des Obersten Sowjets der Russischen Föderation, dass sie für ihre Arbeit eine Bibliothek benötigten und verabschiedeten ein entsprechendes Gesetz.

Von Anfang an hatten Bibliotheksmitarbeiter Schwierigkeiten, schnell und präzise die Anfragen der Abgeordneten zu den von der Bundes- und den Regionalregierungen veröffentlichten offiziellen Dokumenten und juristischen Normen zu beantworten, was auf die Tatsache zurückzuführen war, dass zum damaligen Zeitpunkt nicht eine einzige Bibliothek in Russland, nicht einmal die Nationalbibliotheken, eine gesonderte Sammlung offizieller Dokumente besaß. Folglich hatten die russischen Bibliothekare auch nicht geeignete Methoden und Technologien entwickeln können, die eine vollständige Erfassung sowie ein schnelles Auffinden der Regierungsinformationen erlaubt hätten. Diese Probleme bei der Beschaffung juristischer Informationen und staatlicher Normen führten dazu, dass die Rechtsstaatlichkeit in Frage gestellt wurde.

Von den 20-er Jahren bis 1990 galt in Russland zweierlei Recht. Vorrang hatten vor allem die Dekrete, Normen und Programme der einzigen zugelassenen Partei, der kommunistischen Partei der Sowjetunion (KPdSU). Außerdem wurde das öffentliche Recht von den Verfassungen und der Gesetzgebung der Sowjetunion und Russischen Sozialistischen Föderativen Sowjetrepublik (RSFSR) bestimmt, war in Wirklichkeit jedoch vor allem den von der Partei festgelegten Normen unterworfen. Nur selten waren Gesetze, nicht einmal Verfassungsartikel, vollständig ausformuliert und sollten auch gar nicht zur Anwendung kommen, ohne dass - gemäß den Entscheiden des Zentralkomitees der KPdSU - den Belangen der Parteipflicht und -disziplin Rechnung getragen wurde.

Folglich widmeten sich die sowjetischen Bibliotheken vor allem der bibliographischen Erfassung und Indizierung von Parteidokumenten und -publikationen. Die Dualität auf Staatsebene setzte sich im Bibliothekssystem fort. Außer den öffentlichen Bibliotheken, welche dem Kultusministerium unterstellt waren, gab es in der Sowjetunion ein umfangreiches Netzwerk von Parteibibliotheken. Während Letztere sich hauptsächlich der akribischen Sammlung, Indizierung, Erhaltung und Verbreitung von Dokumenten der kommunistischen Partei widmeten, taten die öffentlichen Bibliotheken wiederum ihr Bestes, die praktische Umsetzung der Entscheidungen, die auf den zuletzt veranstalteten Parteitagen getroffen wurden, durch einen ungeschränkten Zugang auf die vollständige Dokumentation zu gewährleisten. Die Bereitstellung der nötigen Ressourcen für eine Informierung der Öffentlichkeit war nicht das Hauptanliegen der Bibliotheksgemeinschaft. Die einzigen Bibliothekare, die sich für die offiziellen Dokumente und rechtlichen Normen des sowjetischen Staates interessiereten, waren denn auch die in den Rechtsabteilungen der zahlreichen Regierungsstellen und Institutionen mit Regierungsmacht beschäftigten Angestellten. In den Fachbibliotheken wurden wiederum nur die offiziellen Publikationen gesammelt und erfasst, die für den Tätigkeitsbereich der jeweiligen Institution von Interesse waren. Von den Früchten dieser Arbeit zehrten lediglich die Rechtsanwälte.

Nach dem Zerfall der Sowjetunion galt nur noch die 1978 verabschiedete und 1990 abgeänderte russische Bundesverfassung als einziges oberstes Gesetz, das auf alle Bürger anwendbar war, unabhängig von deren Parteizugehörigkeit. Die Verabschiedung einer neuen Verfassung im Jahre 1993 ebnete den Weg für umfangreiche Gesetzesreformen in allen Bereichen des öffentlichen Lebens im ganzen Land. Die vorherrschende Rolle, welche das öffentliche Recht als Quelle für öffentliche Werte und Normen spielt, ist in der neuen russischen Bundesverfassung verankert, die nun allen russischen Bürgern - und nicht nur auf dem Papier - "das Recht gibt, sich auf jede erdenkliche legale Weise Informationen zu beschaffen, entgegenzunehmen, weiterzugeben, zu erzeugen und zu verbreiten". Inzwischen lässt es sich der Staat angelegen sein, Rechts- und Regierungsdokumente allen Bürgern kostenlos zugänglich zu machen.

Die russische Bibliotheksgemeinschaft zögerte nicht lange und machte sich unverzüglich an die praktische Umsetzung dieser Vorgaben. Als das russische Kultusministerium auf die Möglichkeiten moderner Informationstechnologien aufmerksam wurde, nahm es in Zusammenarbeit mit anderen öffentlichen Behörden und Nichtregierungsorganisationen 1998 ein Projekt in Angriff, das die Einrichtung mehrerer für die Öffentlichkeit zugänglicher Zentren mit juristischer Dokumentation vorsieht, welche an Russlands ausgedehntes Netzwerk von über 50 000 öffentlichen Bibliotheken auf Bundes- und Regionalebene sowie im städtischen und ländlichen Bereich angebunden werden sollen. Der Anstoss zum Handeln kommt jedoch nicht nur von oben. Wie die Redner in Moskau anmerkten und wie die Teilnehmer an dem im Mai 1999 veranstalteten viertägigen internationalen Seminar zu dem von der IFLA-Sektion Regierungsinformationen und offizielle Publikationen in Russland behandelten Thema vor Ort in Ryazan selbst feststellen konnten, hat die russische Bibliotheksgemeinschaft ihr Hauptaugenmerk inzwischen auf die öffentliche Zugänglichmachung offizieller Publikationen und Regierungsinformationen gerichtet. Und in jüngster Vergangenheit wurden tatsächlich erstaunliche Fortschritte erzielt. Im Jahre 1999 und im ersten Quartal 2000 eröffnete das Kultusministerium 14 Dokumentationszentren mit juristischen Informationen, von denen ein Großteil an Bibliotheken auf regionaler Ebene angebunden ist. Weitere Zentren in Russlands 89 Bundesregionen sind geplant. Eine noch deutlichere Sprache sprechen die Statistiken und Berichte, aus denen hervorgeht, dass im vergangenen Jahr insgesamt 60 - und mittlerweile womöglich über 250 - russische Bibliotheken aus eigener Initiative und ohne hierfür eine Genehmigung oder Gelder der Zentralregierung abzuwarten, Lesesäle eingerichtet haben, in denen die Öffentlichkeit Zugang zu juristischen Informationen hat.

Rolle der russischen Parlamentsbibliothek

Welche Rolle spielt die russische Parlamentsbibliothek bei der öffentlichen Zugänglichmachung von Regierungsinformationen?

Im Jahre 1994, ein Jahr nach der Verabschiedung der neuen russischen Verfassung, erließ das neue Parlament (Staatsduma und Föderationsrat) ein Bundesgesetz, das die Bereitstellung einer rechtsgültigen Fassung aller offiziellen Dokumente verbindlich festlegte. Dies gab Bibliotheken eine noch solidere rechtliche Handhabe, um das in der Verfassung verankerte Recht auf freien Zugang zu Regierungsinformationen geltend zu machen. So wurde erstmalig in der Geschichte der russischen Bibliotheksgemeinschaft das Anlegen öffentlich zugänglicher Sammlungen von offiziellen Dokumenten als Teil des nationalen Bibliothsbestandes gesetzlich gefördert. Die Bundesgesetzgebung legt fest, welche Dokumente offizielle Dokumente sind, schreibt vor, dass diese von den Regierungsstellen umgehend den nationalen Bibliotheken zur Verfügung zu stellen seien und überträgt der Parlamentsbibliothek in ihrer Rolle als nationales Archiv für offizielle Publikationen die Verantwortung für die bibliographische und statistische Verwaltung der Dokumente.

Neben Gesetzestexten und Parlamentsveröffentlichungen müssen nun auch die von den Institutionen der Bundesregierung und den Regionen herausgegebenen Dokumente archiviert werden. Folglich kann die Parlamentsbibliothek in kurzer Zeit einen angemessenen Archivbestand anlegen, den sie zudem durch laufende Neuzugänge ständig auf dem neuesten Stand halten kann. Die Mitarbeiter der Bibliothek benötigten rund zwei Jahre, um ein modernen Anforderungen gerechtes Registriersystem zu entwickeln, mit dem überwacht werden kann, ob die Institutionen der Bundesregierung, u.a. Ministerien und Regierungskomitees sowie die Regionalbehörden ihrer Verpflichtung nachkommen und die gesetzlich vorgeschriebenen offiziellen Publikationen anliefern. Die folgenden Zahlen belegen, dass dieses Registriersystem mit Erfolg kontrolliert, ob die offziellen Dokumente tatsächlich eingehen. Das Aufkommen, das im Jahre 1994 (dem Jahr, in dem das Gesetz in Kraft trat) bei 262 offiziellen Zeitschriften lag, ist mittlerweile auf 309 angestiegen.

In den Archivsammlungen der Parlamentsbibliotheken finden sich praktisch alle offiziellen Veröffentlichungen der russischen Bundesregierung, und, mit kleinen Ausnahmen, der 89 Verwaltungseinheiten der Russischen Föderation (Regionen, Oblasti, autonome Republiken). Die umfangreiche Sammlung von Bundesdokumenten enthält nicht nur alle Gesetze, die je erlassen wurden, sowie Protokolle von parlamentarischen Plenarsitzungen, sondern auch Gesetzesentwürfe, Anfragen von Abgeordneten, wörtliche Aufzeichnungen von parlamentarischen Sondersitzungen sowie von den wissenschaftlichen Fachdiensten des Parlaments zusammengestelltes Recherche- und Informationsmaterial.

Die Mitarbeiter der Parlamentsbibliothek betrachten es als ihre vornehmste Aufgabe, eine Sammlung offizieller Dokumente der postsowjetischen Ära zusammenzustellen und damit ihren Beitrag zu der gemeinsamen Nutzung der Ressourcen in russischen Bibliotheken zu leisten. Alle offiziellen Dokumente dieser Sammlung werden nach bibliothekarischen Standards erfasst und katalogisiert, so dass Millionen von Lesern herausfinden können, ob die gesuchten Dokumente verfügbar sind.

Aufgrund der Sammlung offizieller Dokumente und deren elektronischer Katalogisierung kann die Parlamentsbibliothek Referenz- und Informationsdienste für einen großen Benutzerkreis anbieten, der sich u.a. aus Mitgliedern der Duma und des Föderationsrates - wie z.B. Abgeordneten, deren Mitarbeitern sowie dem Personal der parlamentarischen Komitees - zusammensetzt, aber auch aus Außenstehenden, wie z.B. Angehörigen von Regierungsstellen, der Bundesregierung, von Gerichten, regionalen Exekutivorganen und juristischen Dokumentationszentren sowie anderen Berufsgruppen, wie z.B. Forschern, amtlich zugelassenen Vertretern der Presse und anderweitiger Medien und - nicht zu vergessen - Bibliothekaren. Alltäglich werden Dutzende von externen Anfragen bearbeitet, und keinem Benutzer wird der Zugriff aufgrund von Alter, Geschlecht, Nationalität, Wohnort, sozialer oder rechtlicher Stellung, finanzieller Situation oder religiöser Überzeugung verwehrt.

Der Zugriff ist keineswegs auf Moskau beschränkt. Mittels Fernleihe sind offizielle Publikationen auch in anderen Büchereien erhältlich, und auf Bestellung werden Dokumente in alle Landesteile verschickt. Die Parlamentsbibliothek arbeitet eng mit den neuen juristischen Dokumentationszentren zusammen, und in Kürze werden alle in elektronischer Fassung vorliegenden Ressourcen weltweit über das Internet abrufbar sein.

Unterstützend bei der wichtigen Aufgabe der beständigen bibliographischen Erfassung und Katalogisierung offizieller Publikationen wirkt sich die diesbezügliche Gesetzgebung der Bundesregierung aus. Seit 1996 verfügt die Bibliothek über elektronische Datenbanken und kann allmonatlich zwei bibliographische Verzeichnisse herausgeben, die selbst wiederum auch staatliche Publikationen sind: Offizielle Dokumente der Regierungsinstitutionen der Russischen Föderation sowie Offizielle Dokumente von Institutionen in den Verwaltungseinheiten der Russischen Föderation. Außerdem erscheint zweimal jährlich der Bibliographische Index offizieller Zeitschriften. Diese drei Verzeichnisse sind zwar für die breite Öffentlichkeit bestimmt, haben jedoch den Stellenwert von wissenschaftlichen Publikationen und könnten durchaus als Grundlage für wissenschaftliche Forschung, Unterrichtsmaterial sowie als Hilfsmittel beim Nachschlagen und bei der bibliographischen Recherche dienen. Diese Referenzwerke entsprechen den derzeit für nationale Bibliographien gültigen Standards. Die drei genannten Veröffentlichungen sind beim russischen Ministerium für Presse, Fernsehen und Massenkommunikation der Russischen Föderation als offizielle Veröffentlichungen des Parlaments registriert und aufgrund ihrer relativ niedrigen Bezugskosten für öffentliche Büchereien und die meisten Bürger erschwinglich. Über 250 öffentliche Bibliotheken, u.a. alle Bundes-, Regional- und Distriktbibliotheken der Russischen Föderation, erhalten zudem Gratisexemplare.

Wie Untersuchungen gezeigt haben, finden diese bibliographischen Verzeichnisse offizieller Publikationen in öffentlichen Bibliotheken und Fachbüchereien sowie russischen und ausländischen Informationsdiensten breite Anwendung als Nachschlagwerke, die bereits Millionen von Russen beim Auffinden offizieller Publikationen und bei der Beantwortung von spezifischen Fragen geholfen haben, wie z.B. welcher Politiker einen bestimmten Gesetzesvorschlag eingebracht hat, wann ein bestimmtes Gesetz in Kraft getreten ist und auf welche Bereiche dieses anwendbar ist. Mit Hilfe der Verzeichnisse kann im Handumdrehen herausgefunden werden, in welcher offiziellen Zeitung bzw. Zeitschrift das betreffende Dokument zum ersten Mal veröffentlicht wurde, um diese dann gegebenenfalls in der nächstgelegenen Bibliothek auszuleihen.

Die beständig wachsende Zahl von Abonnenten beweist, dass die Parlamentsbibliothek den richtigen Weg wählte, als sie beschloss, bibliographische Informationen zu offiziellen Dokumenten auf diesem Wege zu verbreiten. Während 1997 erst 270 Abonnenten (Organisationen, Institutionen, Bibliotheken und Privatleute) die Verzeichnisse bezogen, waren es in den ersten sechs Monaten des Jahres 2000 bereits 3080.

Im Bereich offizieller Publikationen veröffentlicht die Parlamentsbibliothek jedoch keineswegs nur aktuelle Bibliographien. Diese erscheinen eher als Nachsatz im Anschluss an eine Reihe bereits gedruckter Referenzmaterialien, wie u.a. das Verzeichnis von Publikationen der Staatsduma, das Verzeichnis russischer Gesetze und das Verzeichnis der Veröffentlichungen zu Satzungen und Verfassungen der Russischen Föderation. In Kürze werden die persönlichen Bibliographien der Führer aller im Parlament vertretenen Fraktionen erscheinen. Andere Maßnahmen haben nur den Zweck, das öffentliche Interesse an der Tätigkeit des russischen Parlaments wach zu halten und dessen Arbeit für das Volk transparent zu machen, um in einer Zeit des allgemeinen Werteverfalls und negativen Einstellung gegenüber allen staatlichen Stellen das Vertrauen der Öffentlichkeit in parlamentarische Institutionen zu stärken.

Besondere Beachtung unter den Publikationen der Parlamentsbibliothek verdienen die (bisher nur in elektronischer Fassung vorliegenden) Verzeichnisse zu den Protokollen der Sitzungen der Bundesversammlung sowie die dazugehörigen Informations- und Recherchematerialien. Seit 1996 hat ein gesonderter Fachdienst der Parlamentsbibliothek sämtliche mündlichen Abgeordnetenbeiträge nach Themenbereichen und Namen erfasst, so dass Bibliotheksmitarbeiter den Werdegang wichtiger Verfassungs- und Haushaltsgesetze im Parlament chronologisch nachvollziehen und im Bedarfsfall (häufig bei Anfrage eines Abgeordneten) die genauen Daten für eine bestimmte Etappe in der langwierigen Entstehungsgeschichte eines Gesetzes herausfinden können.

Alle Publikationen der Bibliothek sind in elektronischem Format über das Intranet abrufbar und werden in Kürze, sobald die Website der Staatsduma fertig gestellt sein wird, auch über das Internet zugänglich sein.

Im Hinblick auf eine verstärkte internationale Zusammenarbeit und einen vermehrten Austausch der Bibliotheken untereinander wurde EUROVOC, der Thesaurus des Europäischen Parlaments, ins Russische übersetzt und für die Erfassung und Verwaltung offizieller russischer Dokumente in der Parlamentsbibliothek entsprechend umgearbeitet. Auf diese Weise werden diese Dokumente für einen erheblich größeren Benutzerkreis zugänglich sein.

Hierbei sei außerdem angemerkt, dass die Parlamentsbibliothek der Russischen Föderation gegenwärtig eine Sammlung auf Russisch abgefasster offizieller Dokumente der ehemaligen Sowjetrepubliken, einschließlich der baltischen Staate, erstellt und katalogisiert und zudem über einen bilateralen Dokumentenaustausch eine Sammlung der in diesen Ländern derzeit gültigen Gesetze anleg, denn beim Vergleich von verschiedenen Gesetzen zum gleichen Themenbereich werden häufig wertvoll Denkanstöße für die Formulierung von Gesetzen gegeben.

Natürlich ist die Parlamentsbibliothek nicht die einzige Informationsquelle für die im russischen Parlament verabschiedeten Gesetze. Die Bibliothek geht jedoch von der Voraussetzung aus, dass offizielle Dokumente und insbesondere Aufzeichnungen zur Gesetzgebung ein wertvolles Nationalgut sind und widmet sich folglich pflichtbewusst ihrer Aufgabe, Informationen zu neuen Gesetzen und Regierungspublikationen der Öffentlichkeit umgehend bereit zu stellen. Das Parlament weiß den Beitrag der Bibliothek zur Informierung der Öffentlichkeit zu schätzen.

Verbesserter Service durch Integration der Bibliotheksressourcen

Neuesten Erkenntnissen zufolge ist die öffentliche Zugänglichkeit von Sammlungen von Gesetzestexten und Regierungsdokumenten nicht nur für Rechtsanwälte und andere juristisch interessierte Berufsgruppen, sondern auch für gewöhnliche Bürger ohne juristische Vorbildung wichtig. Aus diesem Grunde wollen so viele russische Bibliotheksbenutzer regelmäßig über Regierungsentscheide informiert werden und ungehinderten Zugang zu offiziellen Dokumenten der Bundes- und Regionalregierungen haben. Außerdem möchten sie die derzeit gültigen Gesetze sowie Protokolle parlamentarischer Debatten aus elektronischen Datenbanken abrufen können. Diese Verbesserungen bei der Gesetzgebung der Russischen Föderation führen wiederum zu einem verstärkten Interesse der Abgeordneten und deren Mitarbeitern, die dann diesbezügliche juristische Informationen und wissenschaftliche Abhandlungen zu den in den Gesetzen behandelten Themen anfordern.

Um diesem Verlangen nachkommen zu können, möchten fünf führende russische Bibliotheken mittlerweile einen gemeinsamen Zugriff auf ihre Kataloge, elektronischen Datenbanken und digitale Dokumentation einrichten und ihre bibliotheks- und informationswissenschaftlichen Erfahrungen teilen sowie die technischen, organisatorischen und übertragungstechnischen Voraussetzungen schaffen, um ihre gegenwärtig und in Zukunft verfügbaren elektronischen Ressourcen gemeinsam nutzen und einem breiteren Publikum zur Verfügung stellen zu können. So sollen die Informationsquellen aller Projektteilnehmer in einem gemeinsamen Netzwerk zusammengefasst und berufliche Austausch- und Ausbildungsprogramme veranstaltet werden. Auf diese Weise könnte für alle Benutzer im gesamten Land, und nicht nur in den teilnehmenden Bibliotheken, ein gemeinsamer Zugriff auf die Ressourcen der teilnehmenden Bibliotheken angeboten werden. Dies würde unweigerlich zur Entwicklung neuer Informationsdienste führen, die dann z.B. eine digitale Zustellung von in den Sammlungen der teilnehmenden Bibliotheken vorrätigen Regierungsdokumenten sowie einen direkten Zugriff auf Volltexte in elektronischer Fassung möglich machen würde.

Bei dem geplanten Zusammenschluss würde die Hauptverantwortung für die Verwaltung der offiziellen Publikationen und Regierungsinformationen auf die russische Parlamentsbibliothek entfallen. Durch deren Mitwirken könnten Regierungsinformationen und offizielle Dokumente einer breiteren Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden, was einen weiteren bedeutenden Schritt in Richtung einer Zivilgesellschaft auf rechtsstaatlicher Grundlage bedeuten würde.

Die Erfahrungen, die beim Wiederaufbau einer Parlamentsbibliothek während des erneuten Demokratisierungsprozesses in Russland gemacht wurden, beweisen, welch wichtige Rolle eine nationale Parlamentsbibliothek auch außerhalb des Parlaments spielt. So muss diese eine Vorreiterrolle bei der Ausarbeitung von Terminologie- und Katalogisierungsstandards für die juristischen und parlamentarischen Materialien in den Bibliotheken des Landes spielen, durch die Bereitstellung hervorragender parlamentarischer Informationsdienste ein leuchtendes Vorbild für die gesamte Bibliotheksgemeinschaft sein und neben Dienstleistungen für das zugehörige Parlament auch die Informierung der breiten Öffentlichkeit sicher stellen, um den Demokratisierungsprozess in der breiten Öffentlichkeit zu fördern.

Auf zu einem neuen Jahrtausend voller Demokratie und Frieden

Welche Lehre können der IFLA und die Parlamentsbibliotheken auf der ganzen Welt aus den Erfahrungen der russischen Parlamentsbibliothek ziehen, die diese bei der Bereitstellung von Regierungsinformationen für die Öffentlichkeit erwerben konnte?
  • Zugänglichkeit setzt Ordnung voraus: dies bedeutet Klassifizierung, einheitliche Sammlungen, Katalogisierung, Indizierung.
  • Ein breiter und effizienter Zugang für Öffentlichkeit und Parlamentsmitglieder macht eine Automatisierung und digitale Vernetzung der juristischen Daten erforderlich.
  • Nationen mit einem ähnlichen gesetzlichen Erbe sollten ihre juristischen Informationen teilen.
  • Bibliothekare müssen ihre Kenntnisse und Erfahrungen beim Aufbau leistungsfähiger öffentlicher Fachdienste für Rechts- und Regierungsinformationen austauschen.
Es ist kein Zufall, dass diese vier Punkte mit den Beschlüssen übereinstimmen, welche dem IFLA letztes Jahr von dem osteuropäischen Seminar zur Genehmigung vorgelegt wurden, das die Rolle der Bibliotheken bei der öffentlichen Zugänglichmachung von offiziellen Publikationen und Regierungsinformationen behandelte und von der IFLA-Sektion GIOPS (Regierungsinformationen und Offizielle Publikationen), mit der unsere Sektion häufig zusammen arbeitet, in Moskau veranstaltet wurde. Durch die Billigung dieser Beschlüsse im Dezember 1999 appellierte das IFLA-Gremium an die IFLA-Kernprogramme und die meist betroffenen Sektionen, insbesondere die Sektion der Parlamentsbibliotheken und Wissenschaftlichen Fachdienste von Parlamenten, den Demokratisierungsprozess in Osteuropa und der ehemaligen Sowjetunion durch die Teilnahme an vier bibliothekarischen Initiativen zu fördern, und zwar der Katalogisierung von Publikationen zu Regierungsinformationen, der Einrichtung eines gemeinsamen Zugriffs auf internationale Datenbanken mit juristischen Informationen, Übereinkommen zum virtuellen Austausch von offiziellen Publikationen in elektronischem Format sowie - vor allem - der Veranstaltung internationaler und regionaler Austauschprogramme für die Schulung von in diesem Bereich spezialisierten Bibliothekaren, damit diese sich beruflich weiterbilden und Erfahrungen bei der öffentlichen Zugänglichmachung offizieller Dokumente erwerben können.

Für das neue Jahrtausend wird eine Zivilgesellschaft mit einem elektronischen Staat angestrebt, in dem Bürger und Regierungen, Interessengemeinschaften und Nationen ungehinderten Zugriff auf staatliche Informationen haben, um Verständnis, Demokratie und Frieden zu fördern. Kein Sozialismus, kein Kapitalismus und kein sonstiger -ismus, nur eine informierte Bürgerschaft kann Regierungen auf ihren Platz verweisen und eine ungehinderte Entfaltung des menschlichen Potentials sowie eine Verwirklichung der Träume der Menschheit ermöglichen. Osteuropa ist gegenwärtig ein Versuchslabor, in dem Parlamentsbibliotheken als leitende Forscher neue Methoden ausprobieren, mit denen Regierungsinformationen dem Volk zugänglich gemacht werden. Die Welt wurde bereits auf den Kopf gestellt, die Revolution steht erst noch bevor.

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