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   64th IFLA General Conference
   August 16 - August 21, 1998

 


Code Number: 068-149(WS)-E
Division Number: III.
Professional Group: Libraries for the Blind
Joint Meeting with: Libraries Serving Disadvantaged Persons
Meeting Number: 149.
Simultaneous Interpretation:   No

Lesebeauftragte: ein Modell für Lesemöglichkeiten trotz schwerer Lesebehinderung

Lotta Rosentröm
The Easy to read Foundation (Centrum för Lättläst)
Stockholm
Sweden


Zusammenfassung:

Man schätzt, daß in Schweden mindestens 10 % der erwachsenen Bevölkerung Schwierigkeiten mit dem Lesen und Verstehen normaler Texte haben. Der nachfolgende Artikel beschreibt ein Modell, das eine persönliche Lesehilfe für die Gruppen mit den größten Leseproblemen, vor allem Personen mit Entwicklungsstörungen, bietet. Das Modell wurde auch mit Erfolg an Personen getestet, die an Demenz und geistigen Behinderungen leiden.

Der Artikel berichtet über die in Schweden gemachten Erfahrungen, daß diese Personengruppen einerseits leicht lesbare Texte, andererseits eine persönliche Lesehilfe benötigen, um sich tatsächlich Lesegewohnheiten anzueignen.

Die wichtigsten Bestandteile des Modells werden beschrieben:

Der Artikel nennt schließlich Beispiele dafür, wie die örtliche Bibliothek mit dem Modell arbeiten kann, sowie die Möglichkeiten, die das Modell Gruppen bietet, die bisher aufgrund von Leseschwierigkeiten gesellschaftliche Außenseiter waren.


Paper

Überblick

1. Leicht lesbare Texte - für viele notwendige Voraussetzung zum Lesen

Laut neusten Erkenntnissen der Leseforschung in Schweden haben 25 % der Bevölkerung Schwierigkeiten mit dem Lesen und Verstehen normaler Texte. Die Schwierigkeiten haben viele verschiedene Ursachen. Mangelnde Sprachkenntnisse und kulturelle Barrieren sind beispielsweise wichtige Ursachen für die Leseprobleme der großen Gruppe von Einwanderern in Schweden. Manche könnten ihre Probleme überwinden, tun es aber nie, da die pädagogischen Hilfsmittel fehlen.

Gruppen, die größere und anhaltende Lese- und Verständnisschwierigkeiten mit normalen Texten haben, sind u. a. Personen mit Aphasie, Demenz, Entwicklungsstörung und geistigen Behinderungen. Unter diese Gruppe fallen nach Schätzungen 7 - 8 % der schwedischen Bevölkerung. Um diesen Personen das Lesen zu ermöglichen, ist eine sprachliche und inhaltliche Anpassung der Texte erforderlich, so daß sie sowohl leicht verständlich als auch leicht lesbar sind.

Seit langer Zeit werden in Schweden auf Initiative des Reichstags und der Regierung leicht lesbare Bücher und ein Nachrichtenblatt herausgegeben. Die Herausgabe wird mit 13 Millionen SEK vom Staat unterstützt. Das Stockholmer Zentrum für leichtes Lesen ist für die Herausgabe zuständig, die in den letzten Jahren an Umfang zugenommen hat. Sie umfaßt nun rund 30 leicht lesbare (LL) Bücher pro Jahr sowie ein wöchentlich erscheinendes leicht lesbares Nachrichtenblatt mit Monatsbeilagen. Das Zentrum für leichtes Lesen beschäftigt sich außerdem, vorwiegend im Auftrag staatlicher und kommunaler Behörden, mit der Umarbeitung wichtiger Gesellschaftsinformationen in leicht lesbare Form. Es werden auch Kurse, z. B. im Schreiben leicht lesbarer Texte, veranstaltet.

Bei vielen verschiedenen Gruppen besteht ein Bedarf an leicht lesbaren Texten, die wichtigste Zielgruppe der leicht lesbaren Ausgaben in Schweden sind jedoch Personen mit Entwicklungsstörungen. Bei der sprachlichen Gestaltung von Büchern und Zeitung gehen die Redaktionen von den Bedürfnissen entwicklungsgestörter Personen aus. Diese Bedürfnisse sind natürlich unterschiedlicher Art. Die Gestaltung des Nachrichtenblattes ist an die Bedürfnisse von Personen mit leichten Entwicklungsstörungen angepaßt. Die Bücher variieren von ganz leicht lesbaren Büchern, die nur Abbildungen enthalten, bis hin zu bearbeiteten Klassikern mit relativ schwierigem Text und wenigen Abbildungen.

Personen mit Entwicklungsstörungen sind also die Kerngruppe für die leicht lesbaren Ausgaben in Schweden. Dennoch werden die Bücher und die Zeitung meist in der schwedischen Grundschule eingesetzt, um das Leseinteresse von Kindern mit Leseschwäche zu wecken. Die Ausgaben hatten es sehr schwer, Personen mit Entwicklungsstörungen zu erreichen. Ausgehend von den Erfahrungen, die wir in einem Leseprojekt gemacht haben, werde ich nun ein Modell vorstellen, das Personen mit Entwicklungsstörung Zugang zu den leicht lesbaren Ausgaben verschafft. Das Modell wurde mit Erfolg auch in anderen Zielgruppen getestet.

2. Persönliche Unterstützung ist eine andere notwendige Voraussetzung, damit sich entwicklungsgestörte Personen Lesegewohnheiten aneignen - Erfahrungen in einem schwedischen Leseprojekt.

Das von 1992 - 94 durchgeführte Leseprojekt fand in Zusammenarbeit zwischen dem Zentralverband für entwicklungsgestörte Kinder, Jugendliche und Erwachsene (Riksförbundet FUB) und dem Zentrum für leichtes Lesen statt. Das Projekt wurde in Wohngruppen und Tageszentren für Erwachsene durchgeführt.

Als das Projekt anlief, war uns bekannt, daß schwedische Bibliotheken selten von entwicklungsgestörten Personen aufgesucht wurden. Wir wußten auch, daß viele Bibliotheken in den 80er Jahren ehrgeizige Versuche unternahmen, entwicklungsgestörte Personen über die leicht lesbaren Ausgaben zu informieren. In den meisten Gemeinden gab es (und gibt es noch immer) Bibliothekare, die für Behinderte zuständig sind. Sie besuchten Wohngruppen entwicklungsgestörter Erwachsener und stellten leicht lesbare LL-Bücher vor. Sie unterhielten sich über Bücher und lasen laut aus verschiedenen LL-Büchern vor.

Die Ergebnisse waren fast immer niederschmetternd, hatte man doch auf mehr Bibliothekenbesucher mit Entwicklungsstörungen und eine umfangreichere Ausleihe von LL-Büchern gehofft. Entwicklungsgestörte Personen zeigten zwar oft großes Interesse bei den Besuchen, aber in den meisten Fällen konnten sie nicht selbst lesen oder selbständig zur Bibliothek gehen, um Bücher auszuleihen. Sie waren gänzlich auf die Unterstützung des Personals angewiesen. Vom Personal erhielten die Bibliothekare fast kein Feedback.

Die Bibliothekare waren enttäuscht, aber die Investitionen der Bibliotheken in leicht lesbare Literatur verdeutlichte auf jeden Fall die unerhört wichtige Rolle des Personals oder anderer helfender Personen. Die Erfahrungen der Bibliotheken deuteten darauf hin, daß die Passivität des Personals das große Hindernis war, das es unmöglich machte, das Leseinteresse entwicklungsgestörter Personen zu steigern und ihnen Zugang zu leicht lesbarer Literatur zu verschaffen.

In unserem Leseprojekt wurden die Erfahrungen bestätigt, die viele Bibliotheken in den 80er Jahren gemacht haben: Informationen reichen nicht aus, um beim Personal Engagement zu schaffen.

Ziel des Projektes war es, Personen mit Entwicklungsstörungen zum Lesen leicht lesbarer Bücher und Nachrichtenblätter zu ermuntern. Im Projekt probierten wir verschiedene Möglichkeiten aus:

Der Lesebeauftragte stellte sich als effizienteste Lösung zum Erreichen des Projektziels heraus.

3. Lesebeauftragte werden zu aktiven Vermittlern fortgebildet.

Im Rahmen des Leseprojektes führten wir zu Beginn beim Fürsorgepersonal Umfragen hinsichtlich des Lesebedarfs bei entwicklungsgestörten Personen durch. Die Antworten spiegelten negative Einstellungen bei einem Großteil des Personals wider. Viele vertraten die Ansicht, jemand, der nicht lesen könne, habe auch keinen Spaß und keinen Nutzen beim Lesen. Viele empfanden es als sehr befremdend, laut zu lesen, und meinten, lautes Lesen sei keine richtige Arbeit.

Die Einstellungen des Personals datieren aus vergangenen Zeiten, als entwicklungsgestörte Personen in geschlossenen Gemeinschaften geschützt und praktisch gepflegt wurden, und die Aufgabe des Personals darin bestand, physische Fürsorge zu geben. Die moderne Berufsausbildung für Fürsorgepersonal geht fast nie auf den Informations- und Lesebedarf entwicklungsgestörter Personen ein, obwohl diese nach dem Gesetz das Recht auf volle Integration in die Gesellschaft haben. Auf diese Art halten sich beharrlich Vorurteile.

Ein allgemeiner Fortbildungstag für das gesamte Personal zum Thema Lesebedarf und leicht lesbares Material war Bestandteil des Projektes. Aber wir machten die Erfahrung, daß dies nicht ausreichte, um das Personal stärker zu lautem Lesen und Bibliotheksbesuchen zu animieren. Die Macht der Gewohnheit ist unerhört groß, und dem Lesen wurde bisher keine Priorität im wöchentlichen Ablauf eingeräumt. Es war jemand erforderlich, der die persönliche Verantwortung für die Veranstaltung von Lesestunden während der Arbeitszeit übernahm. In jeder Personalgruppe wurde mindestens eine Person, besser noch zwei, bestimmt, die für das Lesen zuständig waren. Man nannte sie LESEBEAUFTRAGTE.

Im Rahmen des Projektes entwickelten wir Studienmaterial mit vier Heften zur Fortbildung von Lesebeauftragten, d. h. Personalvertretern in Wohngruppen und Tageszentren für entwicklungsgestörte Personen. Die Fortbildung wird als Studienkreis mit 4 - 5 Treffen durchgeführt.

Im Studienkreis werden die Lesebeauftragten dazu veranlaßt, über ihre eigenen Lesegewohnheiten nachzudenken und mit denen der entwicklungsgestörten Personen, mit denen sie Kontakt haben, zu vergleichen. Die Teilnehmer des Studienkreises lernen, wie man einen Text an Entwicklungsstörungen anpassen kann und erfolgreich Lesestunden abhält. Die Reaktionen auf den Studienkreis sind im allgemeinen durchweg positiv. Viele Lesebeauftragte berichten, wie der Lesekreis sie dazu veranlaßt hat, ihre Arbeit und Personen mit Entwicklungsstörungen mit neuen Augen zu sehen. Durch die Lesestunden entsteht Nähe, und es ergibt sich neuer Gesprächsstoff, wenn die Schüchternheit und die Scheu vor dem ungewohnten Lautlesen erst einmal abgelegt sind.

Nach Beendigung des Studienkreises erhalten alle Lesebeauftragten ein schönes Diplom in einem Glasrahmen, das während einer kleinen Abschlußfeier überreicht wird. Das Diplom ist offenbar für viele Lesebeauftragte von großer Bedeutung, denn sie hängen es gut sichtbar an ihrem Arbeitsplatz auf. „Jetzt können die anderen sehen, daß ich das Recht habe, mich hinzusetzen und zu lesen!"

Aufgabe der Lesebeauftragten nach der Teilnahme am Studienkreis ist es, mindestens einmal wöchentlich in der Wohngruppe oder im Tageszentrum, mit einzelnen Personen oder in der Gruppe, Lesestunden zu veranstalten. Der Lesebeauftragte ist auch für Bibliotheksbesuche verantwortlich, die mindestens einmal im Monat stattfinden sollten.

Der Lesebeauftragte hat noch eine andere wichtige Aufgabe - nämlich seine Arbeitskollegen zu informieren und zu inspirieren. Dies kann er tun, indem er bei Personalbesprechungen von leicht lesbaren Büchern und anderem leicht lesbarem Material erzählt oder indem er andere Arbeitskollegen in die Lesestunden einbezieht.

Im Leseprojekt formulierten wir den Auftrag eines Lesebeauftragten. Seither haben wir in Schweden eine große Anzahl von Lesebeauftragten ausgebildet, nämlich rund 1400. Damit das Modell mit den Lesebeauftragten funktioniert, hat es noch weitere wichtige Bestandteile. Es wurde an Personen mit geistigen Behinderungen und solchen mit Demenz getestet. Es hat sich herausgestellt, daß es auch bei diesen Gruppen, die wie Entwicklungsgestörte leicht lesbare Texte und Unterstützung beim Lesen benötigen, ausgezeichnet funktioniert.

4. Damit sich auf Dauer Lesegewohnheiten entwickeln, ist eine langfristige Zusammenarbeit erforderlich.

Die Lesebeauftragten dürfen nicht zu enthusiastisch sein. Nach Beendigung des Studienkreises erwartet sie eine schwierige Aufgabe. Sie sollen Lesestunden in einer Einrichtung einführen, in der das übrige Personal (und auch entwicklungsgestörte Personen zu Anfang) dem Lesen negativ oder bestenfalls unschlüssig gegenüberstehen. Aufgrund von Personalmangel ist die Zeit knapp, so daß Lesen und Bibliotheksbesuche als unnötiger Luxus empfunden werden. Lesebeauftragte benötigen viel Unterstützung und zwar für lange Zeit!

Um die notwendige Unterstützung zu geben, haben wir eine enge Zusammenarbeit zwischen vier Institutionen aufgebaut:

  1. der Organisation für entwicklungsgestörte Personen, FUB
  2. den Leitern von Wohngruppen und Tageszentren
  3. Bibliothek
  4. Bildungsverband

Die Zusammenarbeit beginnt auf Provinzebene in einer Arbeitsgruppe, welche bei den für Kultur und Soziales in den Gemeinden der Provinz zuständigen Politikern und Führungskräften eine Lobby für die Lesebeauftragten schafft. In jeder Gemeinde mit Lesebeauftragten bilden wir dann eine Arbeitsgruppe, in der die vier Institutionen zusammenarbeiten.

Die kommunale Arbeitsgruppe hat zum einen die Aufgabe, die Lesebeauftragtenarbeit aufzubauen, und zum anderen, die Lesebeauftragten weiterhin zu unterstützen, so daß das Lesen einen festen Platz bekommt. Die Gruppe veranstaltet Projekttage für Personal, Studienkreise für Lesebeauftragte und kulturelle Aktivitäten für entwicklungsgestörte Personen. Sie sorgt dafür, daß sich die Lesebeauftragten regelmäßig treffen und Lesetips bekommen. Die Gruppen setzen sich oft dafür ein, daß die Bibliotheken und deren Service besser auf die Bedürfnisse entwicklungsgestörter Personen abgestimmt werden.

Die vier Institutionen arbeiten in der Arbeitsgruppe eigenverantwortlich und im Bewußtsein ihrer Rolle für die Lesebeauftragtenarbeit:

  1. Der FUB: Er bringt die Forderungen entwicklungsgestörter Personen nach Integration durch Lesen mit Unterstützung von Lesebeauftragten vor. Der FUB ist eine notwendige treibende Kraft, die sich am Behindertengesetz orientiert.

  2. Die Leiter von Wohngruppen und Tageszentren: Sie sind dafür verantwortlich, daß das schwedische Gesetz eingehalten wird, wonach alle entwicklungsgestörten Personen ein Recht auf Integration in die Gesellschaft haben und Kultur- und Freizeitaktivitäten Bestandteil der Personalaufgaben sein sollen.

  3. Die Bibliothek: Sie ist dafür verantwortlich, daß das Bibliothekengesetz eingehalten wird, d. h. daß Behinderten geeignete Medien und guter Service zur Verfügung stehen. Die Bibliothek bietet Wissen über geeignete leicht lesbare Medien und hält diese bereit.

  4. Der Bildungsverband: Er ist dafür verantwortlich, daß Behinderte am kulturellen Leben teilhaben können. Der Bildungsverband organisiert Zirkel, Projekttage und kulturelle Aktivitäten.

Die Mitwirkung aller vier Institutionen ist erforderlich. Die Zusammenarbeit gibt außerdem Kraft und macht Spaß, da man von ganz unterschiedlichen Erkenntnissen und Erfahrungen ausgehend Lösungen und Ideen beisteuern kann. Auch auf landesweiter Ebene wurde eine Zusammenarbeit aufgebaut.

Wir müssen einen weiteren Faktor berücksichtigen - die ZEIT! Die Arbeitsgruppen auf Provinz- und Gemeindeniveau müssen ihre Aufgabe langfristig sehen. Die Zusammenarbeit muß über längere Zeit bestehen, da viele Menschen beeinflußt werden müssen, und es dauert lange, bis man seine Gewohnheiten ändert, dies gilt nicht zuletzt für Personen mit Entwicklungsstörungen.

5. Das Lesebeauftragtenmodell: Organisation und Verteilung der Aufgaben:

Provinzgruppe:

Kommunale Arbeitsgruppen:

Lesebeauftragter:

Zentrum für leichtes Lesen:

Während der Aufbauphase von 2 - 3 Jahren ist ein eigens für das Projekt angestellter Mitarbeiter damit befaßt, kommunale Arbeitsgruppen in einer Provinz zu bilden. Die Stelle wird u. a. aus staatlichen Mitteln finanziert. Im übrigen wird das Projekt ohne spezielle Mittel durchgeführt. Die Projektmitarbeiter werden größtenteils vom FUB gestellt.

Das Zentrum für leichtes Lesen hat zwei Dienste eingerichtet, die als Organisatoren für die Lesebeauftragten fungieren. Sie koordinieren die Projekte und unterstützen die Lesebeauftragtenarbeit der Provinz. Die Hauptverantwortung für die Lesebeauftragten befindet sich jedoch auf lokaler Ebene. Die Erfahrungen der Lesebeauftragten und die Arbeit der Arbeitsgruppen werden in dem Blatt „Läsombudet" beschrieben, das alle zwei Monate vom Zentrum für leichtes Lesen herausgegeben wird.

In Schweden haben wir in den Jahren von 1994 bis 1998 eine Organisation aufgebaut, die ca. 600 Aktive in Arbeitsgruppen und 1400 Lesebeauftragte in rund der Hälfte der schwedischen Provinzen umfaßt. Derzeit laufen Projekte in 5 Provinzen und einer Großstadt. Mehrere Provinzen bereiten Projekte vor.

Längerfristig sollte die Organisation Bestandteil eines Kulturnetzwerks sein, das sich dafür einsetzt, daß Behinderte Zugang zu jeder Art von Kultur bekommen.

6. Wie kann die örtliche Bibliothek innerhalb des Modells arbeiten?

Wenn eine Gemeinde die Lesebeauftragtenarbeit aufnimmt, veranstaltet die Arbeitsgruppe Projekttage für das Personal. Hierbei spielt die örtliche Bibliothek eine äußerst wichtige Rolle, indem sie über leicht lesbare Medien und über die Bibliothek informiert, z. B. welche Rechte Entwicklungsgestörte haben, welche Regeln für die Bücherausleihe gelten. Die Bibliothek kann die Projekttage erneut aufgreifen, indem sie einzelne Wohngruppen und Tageszentren zu einem Bibliotheksbesuch mit Rundgang, Gesprächen über Büchern und Vorlesen einlädt. Anschließend erhalten alle einen Leihausweis.

Im Rahmen des Studienkreises für Lesebeauftragte werden selbstverständlich nähere Informationen zu den Möglichkeiten der örtlichen Bibliothek gegeben und es wird eine Führung durch den Bibliothekar veranstaltet.

Viele Bibliotheken ließen sich zu speziellen Kulturveranstaltungen für Personen mit Entwicklungsstörungen inspirieren: Erzählercafé oder Schreiberwerkstatt. Manchmal wurde die Bibliothek dafür außerhalb der normalen Zeiten geöffnet, z. B. an Samstagnachmittagen.

Den größten und gleichzeitig erfreulichsten Einsatz haben Bibliotheken gezeigt, die besondere Ecken oder Abteilungen mit leicht lesbarem Material aufgebaut haben. Meist hat die Bibliothek dazu erst gemeinsam mit einigen entwicklungsgestörten Personen eine Arbeitsgruppe gebildet, die Tips und Ideen hinsichtlich der Lage und Gestaltung der Ecke beisteuern konnte.

Gemeinsam hat man die Farben und die Möblierung der Ecke festgelegt. Regale und andere Einrichtungsgegenstände wurden teilweise von Tageszentren gestiftet. Welche Medien in der LL-Ecke vertreten sein sollten, wurde gemeinsam diskutiert. Ziemlich oft wurde die LL-Ecke mit Computern und Spezialprogrammen ausgestattet.

Eine feierliche Einweihung bildet den Abschluß der Arbeit an der LL-Ecke, die oft mit sehr geringen Mitteln entstanden ist. Die LL-Ecke stellt einen Erfolg dar, und zwar sowohl für den großen Personenkreis, der leicht lesbares Material benötigt, als auch für den Bibliothekar, der enge Kontakte zu einer neuen Gruppe begeisterter Ausleiher knüpfen konnte.

Aber - die interne Arbeit der Bibliothek ist mindestens genauso wichtig. Alle Angestellten müssen wissen, wie man Personen mit Entwicklungsstörungen richtig bedient.

Viele brauchen Informationen über die Behinderung, um Angst und Vorurteile ablegen zu können. Projekttage zu Entwicklungsstörungen sind ein wichtiger und notwendiger Bestandteil der Förderung der Lesebereitschaft entwicklungsgestörter Personen.

Die kommunale Arbeitsgruppe verfügt über weitreichende Erfahrungen und Kenntnisse über Entwicklungsstörungen. Diese können durch Vertreter des FUB an das Personal von Bibliotheken und Wohngruppen/Tageszentren weitergegeben werden.

Die Bibliothek hat eine äußerst wichtige Funktion bei der Unterstützung von Lesebeauftragten. Mindestens einmal im Halbjahr sollten sich die Lesebeauftragten in der Bibliothek ihrer Gemeinde treffen und durch einen Bibliothekar Lesetips zu leicht lesbarer Literatur und anderem Material bekommen.

Durch die Arbeit mit Vermittlern für erwachsene Personen kommt der Bibliothek eine neue Rolle zu. Die Schulung in der Gesprächsführung über leicht lesbare Bücher kann für alle, die mit Lesebeauftragten und entwicklungsgestörten Ausleihern in Kontakt kommen, ein wichtiger Faktor sein.

7. Welche Bedeutung hat das Modell für entwicklungsgestörte Personen? Lesebeauftragte berichten.

„Wenn wir das leicht lesbare Nachrichtenblatt 8 SIDOR lesen, wird viel diskutiert. Am Anfang laß ich laut, aber nun wollen alle lesen. Erst nahm das Lesen der Zeitung ca. 1 Stunde in Anspruch, aber jetzt brauchen wir immer mehr Zeit. Es ist so anregend. Wir fahren fort und diskutieren, vertiefen uns in ein Thema, lösen Kreuzworträtsel und antworten auf Preisausschreiben in der Zeitung."

„Ein Mann war sehr kommunikationsunwillig. Er spricht nicht, sondern verwendet eine geringe Anzahl von Zeichen, kombiniert mit Lauten. Zur ersten Lesestunde kam er wohl hauptsächlich wegen des Kaffees. Wenn die Tasse leer war, ging er sofort zur Tür, und fing an, dagegen zu hämmern. Ich ermahnte ihn aufzuhören, weil er die anderen störte. Wenn er bleiben wollte, durfte er keinen Lärm machen. Er entschied sich zum Bleiben, und er erscheint heute noch zu den Lesestunden."

Die ersten zwanzig Mal stand er möglichst weit von mir entfernt, aber nach und nach kam er näher. Nun sitzt er am Tisch und beteiligt sich während der ganzen Stunde. Anfangs war er ziemlich irritiert, wenn ich versuchte, ein Bild zu zeigen, aber jetzt sucht er selbst Bilder und Piktogramme aus Büchern und Zeitungen aus."

„Wir lesen das leicht lesbare Nachrichtenblatt 8 SIDOR jeden Tag in unserem Tageszentrum. Am beliebtesten ist das Kreuzworträtsel, das immer jeder für sich löst, so daß jeder, der Lust dazu hat, eine eigene Antwort abgeben kann. Wenn wir das Kreuzworträtsel gelöst haben, stecken wir die Lösung in einen Umschlag, versehen diesen mit der Adresse, kleben eine Briefmarke darauf und bringen die Briefe gemeinsam zum Briefkasten. Wenn die neue Zeitung erscheint, lautet die erste Frage: „Habe ich gewonnen?"